Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung im Hinblick auf geltend gemachte Pflichtteilsansprüche
Die Verjährung eines Pflichtteilsanspruches führt grundsätzlich nicht zum Verlust des Anspruchs auf den Pflichtteil.Die verjährte Forderung bleibt voll wirksam und einklagbar. Die verjährte Pflichtteilsforderung ist lediglich mit der Einrede der Verjährung behaftet, sodass der Anspruch nicht durchgesetzt werden kann, wenn der Schuldner die Einrede erhebt.
Die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen kann ein Gestaltungsmittel bei Nachfolgeregelungen im Rahmen von Berliner Testamenten sein. Dabei gilt es, ungenutzte Freibeträge der Abkömmlinge bezogen auf den erstversterbenden Ehegatten in Anspruch zu nehmen.
Der Erwerb des Pflichtteilsberechtigten ist gem. § 3 ErbStG ein eigenständiger Erwerb des jeweiligen Abkömmlings, den der überlebende Ehegatte als Alleinerbe von seinem steuerpflichtigen Erwerb als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG abziehen kann.
Zusätzlicher Vorteil ist, dass der durch die Abkömmlinge beanspruchte Pflichtteil und das damit erworbene Vermögen beim zweiten Erbgang nicht nochmals vererbt oder vom länger lebenden Ehegatten verschenkt werden muss.
Der BFH hat im Zusammenhang mit einem Erbfall, indem der Pflichtteilsberechtigte gleichzeitig Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten war, folgende Leitsätze aufgestellt:
Im Erbschaftsteuerrecht gelten die infolge des Erbfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnisse gem. § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen.
Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht jedoch nicht so weit, dass der zivilrechtlich aufgrund von Konfusion erloschene Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war.[2]
Beispiel
Der Pflichtteilsberechtigte (P) hat nach dem Tod seines Vaters (V) in 2019 zunächst keine Pflichtteilsansprüche in Höhe von 400.000 Euro geltend gemacht. Alleinerbin wurde dessen Ehefrau (F), die Stiefmutter von P. F verstarb in 2021 und setzte P als Alleinerben ein. Nach dem Tod von F macht P in 2021 (alternativ in 2023) seinen Pflichtteil geltend.
Durch die Geltendmachung des Pflichtteils in 2021 reduziert sich der steuerpflichtige Erwerb der F gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG um 400.000 Euro. Für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit wirkt die Geltendmachung auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber der F, also auf den Zeitpunkt des Todes des V gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG zurück. Die Geltendmachung stellt ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO dar.[3]
Die Geltendmachung des Pflichtteils erst in 2023 würde wegen der dann eingetretenen Verjährung der Pflichtteilsforderung die erbschaftsteuerlichen Vorteile verpuffen lassen. Für die Gestaltungspraxis wäre bei testamentarischen Verfügungen zu überlegen, die Verjährungsfristen ggf. angemessen zu verlängern. Dabei sollte die Verlängerung als aufschiebende Bedingung so formuliert sein, dass sie nur gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte auch Schlusserbe des Überlebenden wird.
Tipp
Die Pflichtteilsberechtigten, die nicht als Schlusserben eingesetzt werden und die zu Lebzeiten des überlebenden Ehegatten, idealerweise mit dessen Zustimmung, ihren Pflichtteil geltend machen, partizipieren in jedem Fall von nicht ausgeschöpften erbschaftsteuerlichen Freibeträgen auch nach Eintritt der Verjährung. In diesem Fall dürfte auch die Nachlassverbindlichkeit mangels Konfusion abziehbar sein.
Vor einer Geltendmachung des Pflichtteils sollte stets geprüft werden, ob die Verfügung von Todes wegen eine Pflichtteilsstrafklausel enthält. Ist eine letztwillige Verfügung nicht eindeutig und muss ausgelegt werden, besteht für den steuerlichen Berater die Notwendigkeit, den Mandanten rechtzeitig auf bestehende Risiken hinzuweisen, um ein eventuelles Haftungsrisiko zu vermeiden. Anwaltlicher Rat ist diesem Fall unabdingbar.
Quellen:
[1] Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.06.1995, 7 U 129/94
[2] Vgl. BFH-Urteil vom 05.02.2020, II R 1/16, BStBl-2020-II-0581, für allgemein anwendbar erklärt durch BMF am 17.09.2020
[3] Vgl. BFH-Urteil vom 19.02.2013, II R 47/11, BStBl-2013-II-0332